Von Susanne Ehrlich
Verden. Die Domfestspiele 2022 nehmen Gestalt an: Im Probendomizil in der Intscheder Gemeinschafts-Sportanlage gab es in den ersten anderthalb Monaten bereits über 30 Probentage. Der Bremer Schauspieler Hans König ist erneut Autor und Regisseur des Stückes, diesmal aber auch noch Choreograf und Komponist der Bühnenmusik. Mit Tanz, Chor- sowie Sologesang und vielen chorischen Volksszenen will er dem Stück opernhafte Wucht verleihen.
Schon seit elf Jahren sind die Domfestspiele "königliches Theater". Im Jahr 2011 inszenierte König mit "Der steinerne Mann" sein erstes Stück vor der imposanten Domkulisse. Der Erfolg nagelte ihn am Mammutprojekt fest: Auch die darauf folgenden Inszenierungen "Das geheime Attentat und "Der brennende Mönch" trugen seine Handschrift
Den Kern des neuen Stückes "Die rebellische Hexe" bildet die wahre Geschichte von der jungen Epilepsie-kranken Verdenerin Margarethe Sievers, die im Jahr 1616 als Hexe "besagt" und zum Tode verurteilt wird. Ihre eigenen Eltern haben die Tochter, mit deren Verhalten sie nicht mehr fertig wurden, angezeigt. König sah großes Potenzial in der Geschichte der jungen Frau. Die belegbaren Elemente hat er nun mit ähnlichen Ereignissen und eigenen dramaturgischen Einfällen zu einem Stück mit geradezu opernhaft ästhetischen Details verwoben. Gesang, Musik und Tanz auf den drei Ebenen des monumentalen Bühnenbildes versprechen ein Theatererlebnis, das ungeheuer spannend, in vielen Momenten komisch, manchmal ganz schön bedrückend und immer voll turbulenter Lebendigkeit ist.
Jahrhundertelanger Frauenhass
In jener Zeit sei der "Hexenhammer" des berüchtigten Inquisitors Heinrich Kramer weit häufiger als die Bibel verkauft worden, erzählt König. Seine sehr speziellen Verschwörungstheorien wurden zur Grundlage jahrhundertelangen Frauenhasses und brutaler Verfolgung.
Margarethe wird in der Folter gezwungen, weitere Frauen zu verraten. Drei Verdenerinnen sterben gewaltsam im Kerker. Margarethe, dem "Teufel" entkommen, glaubt schließlich, in sich selbst heilende Kräfte zu spüren. Ihr Urteil wird in Erwartung eines Gutachtens ausgesetzt, und in häuslichem Arrest spült sie mit Wunderheilungen aller Art Geld in die Sievers'sche Haushaltskasse.
Das Massaker im Kerker wird Gegenstand einer raffinierten kriminalistischen Nebenhandlung, denn Beelzebub pflegt nicht mit dem Messer zu morden. Dann sind da noch der psychopathische Domprediger Eckbert, Valentin Friese, der Margarethe aus Versehen geschwängert hat, aber ansonsten keine Absichten auf sie hegt, seine wohlhabende und einflussreiche Mutter Anna Friese, die ihren Sohn mit der 15-jährigen Henriette, Tochter ihrer besten Freundin Magdalene von Ahlden, verheiraten möchte, und schließlich der unerbittlich fiese Inquisitor Jan von Modder, der den Verdener Sündensumpf so richtig ausmisten möchte. Bischof Sigismund ist nicht begeistert: Ist der behäbige Lebemann doch allen sinnlichen Genüssen zugetan und keinesfalls an allzu akribischen Inquisitoren-Blicken interessiert.
König verspricht Komik
In diesen Szenen rund um die Verdener Geistlichkeit wird sich, verspricht König, große Komik entfalten. Nun entspinnen sich allerlei Intrigen. Die einen wollen Margarethe so schnell wie möglich ohne Kopf sehen, die anderen wollen sie retten. Der Schluss wird nicht verraten – nur so viel: Das Publikum darf einen echten Knalleffekt erwarten.
Für die Schar der Mitwirkenden ist die Sache jetzt schon ein voller Erfolg. "Man merkt richtig, wie die Leute sowas gebraucht haben", meint König. "Gerade jetzt, wo wir uns mit der Klimakrise, mit Corona und nun auch noch mit dem Krieg in der Ukraine auseinandersetzen müssen, zeigt sich, wie wichtig es ist, an so einer gemeinsamen Sache mitzuwirken. Je mehr Schlimmes in der Welt passiert, dem wir nur ohnmächtig gegenüber stehen, umso wichtiger werden solche Projekte, in denen Menschen miteinander konstruktiv arbeiten und etwas auf die Beine stellen können."
Mit ihren Rollen können sich die Schauspieler sehr schnell identifizieren, denn im Stück wächst eine Art Psychodrama im Netz von zwischenmenschlichen Verstrickungen. Für König hat das auch immer einen politischen Aspekt, denn jegliches Verhalten sei das Ergebnis sozialer Beziehungen. "So wie die Menschen um mich herum denken, handeln und leben, so bewege auch ich selbst mich in meiner eigenen Umgebung."
Bezüge zur Gegenwart
So erhalte das Rollenspiel im Lauf seiner Entwicklung viele persönliche Aspekte, die über die hermetische Aussage des Stückes hinausgehen: "Wenn man eine Produktion mit so vielen Menschen macht, die sowohl für die, die mitspielen, als auch für die, die zuschauen, interessant sein soll, dann kann man sich nicht nur mit dem historischen Vorfall befassen, sondern man muss auch fragen, was bedeutet diese Geschichte für uns heute?" Gerade das sei das Spannende, solche Bezüge herzustellen und sichtbar zu machen, weil sie bis heute in unsere Gesellschaft hineinwirken.
"Damit meine ich Frauenfeindlichkeit, damit meine ich Projektionen derer, die ihre eigenen Dämonen nicht besiegt haben und deshalb andere Leute dafür verantwortlich machen, ihnen bestimme Eigenschaften und Verhaltensweisen zuschreiben und ihren Hass damit begründen", erläutert der Regisseur. Das geschehe leider nach wie vor, und deshalb habe das Stück einen starken Bezug zur Gegenwart.
Das Theater, so König, lehrt seine Protagonisten, sich auch in belastendsten Situationen einfach als Betrachter zu sehen. Und genau das bringt eine spezielle Fähigkeit zur Selbstreflexion mit sich: "Wir bilden ja nicht nur ab, sondern wir bilden auch uns selbst ab, während wir erzählen."
Ein kleines Wunder
Was König aus seinen Laiendarstellern herauszuholen vermag, bleibt dabei ein kleines Wunder. Auch Anfänger, auch ganz junge Menschen wachsen unter seinen Händen über sich hinaus und mit dem Ensemble zusammen. Wie macht er das bloß? "Ich schaue einfach, was die Menschen mitbringen. Ich arbeite mit dem, was ich sehe, und entwickle es mit ihnen gemeinsam weiter." Darum sei das für ihn auch viel spannender als die Arbeit mit Profis: "Die Leute hier machen ihre Sache so, wie sie sonst keiner machen kann. Sehr wichtig dabei ist das Vertrauen, nicht nur zu mir, sondern auch das der Darsteller zu sich selbst." Und das zu erzeugen, darin ist er Meister: Von Szene zu Szene wachsen Glaubwürdigkeit und Substanz der Figuren, und mit ihnen auch ihre Darsteller.