Eigentlich führt Birgit Scheibe schon immer ein Doppelleben. Ihre Aufgaben in der Koordinierungsstelle Frau und Wirtschaft des Landkreises Verden und ihre freiberufliche Tätigkeit als Schauspielerin unter einen Hut zu bekommen, ist für sie jedoch eine perfekte Konstellation. Wie schon bei der vorigen Produktion steht sie bei den Domfestspielen 2022 als Regie-Assistentin an der Seite von Autor und Regisseur Hans König.
Als freiberufliche Schauspielerin hat Scheibe bereits viele kreative Ideen verwirklicht, hat das Domherrenhaus, das Pferdemuseum und viele andere regionale Orte mit eigenen Solo-Stücken oder kleinen Ensembles bespielt. Auch bei den Domfestspielen hatte sie seit 1998 auf der Liste der Darsteller gestanden. Doch im Jahr 2017 wechselte sie mit der Regieassistenz erstmals die Perspektive und übernahm einen Teil der Verantwortung.
Allroundkünstlerin
"Ich habe mich riesig gefreut, als die Anfrage von Hans König kam, ob ich den Job wieder übernehmen könne", erzählt die Hülsener Allroundkünstlerin, die sich nicht nur als Schauspielerin einen Namen gemacht hat, sondern auch Theaterworkshops anbietet und, wenn es die Zeit erlaubt, gern singt, tanzt und mehrere Instrumente spielt.
Was gehört eigentlich alles zu ihrer Aufgabe als Regie-Assistentin? "Ich muss vor allem eng mit Hans König zusammenarbeiten, und das ist einfach großartig – es passt einfach. Er inszeniert, ich stehe neben ihm, führe das Regiebuch, notiere alle Details." Jeden Szenenwechsel, jeden Auftritt und Abgang müsse sie dokumentieren, den genauen Zeitablauf jederzeit im Auge haben, jede Änderung, die während der Entwicklung des Stückes entstehe, direkt einpflegen.
"Das Stück ist wie ein lebender Organismus, es atmet, entwickelt sich immer weiter." Natürlich könne die Regie nicht alle Szenen auf einmal proben. Was soweit inszeniert sei, ruhe oft über einen längeren Zeitraum. Dann muss sie bei der Wiederaufnahme der Proben das kollektive Gedächtnis sein und sofort alles bereits Erarbeitete in die Gegenwart zurückrufen. Übrigens sei es nicht nur das Stück, sondern es seien auch die Darsteller, die sich entwickelten, hat Scheibe beobachtet. "Wenn sie ganz neu dabei sind, sind sie noch recht zaghaft, und es ist eine Freude zu erleben, wie sie immer mehr aus sich herauskommen und dann über sich hinauswachsen", erzählt sie.
Stets im Standby-Modus
Die Regieassistentin muss stets im Standby-Modus sein. "Mit einem Ohr bin ich bei Hans, mit dem anderen bei den Wünschen und Fragen des Ensembles. Ich bin das Bindeglied zwischen ihnen." Was sie bei den vergangenen Produktionen begeistert habe, und was sie auch jetzt wieder erlebe, sei die tolle Probenatmosphäre, die Hans König wie von selbst zu schaffen pflege. "Er sorgt für eine große Wertschätzung. Er findet immer einen Platz für jeden, bei dem man das einsetzen kann, was man mitbringt." Jeder Einzelne sei wichtig, jeder fühle sich eingebunden und mitverantwortlich, von den jüngsten Kindern bis zu den ältesten Senioren, unter denen es bereits 80-Jährige gebe. "Wir achten darauf, dass sich alle wohlfühlen können, und so erleben wir ein konstruktives und harmonisches Klima." Auch das sei sicher ein Grund dafür, dass alle so begeistert mitziehen. Wieder hat sich der Regisseur für jeden einzelnen Mitwirkenden, auch für die stummen Rollen, eine Biografie ausgedacht. "Jeder hat eine konkrete Tätigkeit, mit der er sich identifizieren kann, wird zum Teil des Stadtlebens." Bauern, Marktfrauen, Kaufleute, Knechte und Mägde – bereits nach kurzer Zeit haben alle Schauspielerinnen und Schauspieler ihre temporäre Persönlichkeit entwickelt. "Auch diese Biografien habe ich immer parat und kann bei den Proben auf deren Details achten."
Außerdem muss die Regieassistentin nicht nur als Souffleuse dienen, sondern auch alle Schauspieler ersetzen, die während einer Probe fehlen. "Vom jungen Mädchen bis zum Inquisitor bin ich schon alles gewesen", erzählt die Schauspielerin lachend, die dann natürlich in ihrem Element ist.
Was macht eigentlich mehr Spaß: Selbst auf der Bühne zu stehen oder so wie jetzt davor? "Die Frage muss ich erstmal ein bisschen sacken lassen", überlegt Scheibe. "Ich bin ja Schauspielerin aus Leidenschaft. Und weil ich nicht permanent spiele, sondern nur in wechselnden Projekten, ist das für mich immer wieder etwas Besonderes. Und gerade in der Corona-Zeit vermisst man die öffentlichen Auftritte ganz besonders."
Arbeitsintensiver Job
Doch die Arbeit in der Regie genieße sie auch sehr. "Das ist eine große Verantwortung, und ich kann unheimlich viel dabei lernen." Allerdings sei das natürlich eine extrem arbeitsintensive Arbeit. "Ich muss ja bei jeder einzelnen Probe dabei sein, und das zusätzlich zu meinem Job beim Landkreis." Natürlich habe sie für die Dauer der Domfestspiel-Vorbereitungen alle anderen Projekte auf Eis gelegt. "Gerade das empfinde ich als großes Privileg, immer frei entscheiden zu können, was ich gerade gerne machen möchte." Im Gegensatz zu Schauspielern, die von ihrem Job allein leben müssen, biete ihr zweites berufliches Standbein ihr viel Freiheit. Doch setzte es ihr auch einen zeitlichen Rahmen: "Auch mein Tag hat ja leider nur 24 Stunden."
Ein kleines bisschen Wehmut wird bei ihr aufkommen, wenn die Inszenierung steht und die Premiere naht: "Das war auch 2017 beim 'Brennenden Mönch' so: Genau zu dem Zeitpunkt, wenn bei allen anderen der Adrenalinspiegel steigt, muss ich in die Kulissen zurücktreten." Doch ganz am Ende wird die Begeisterung des Publikums stehen, der Lohn der Theaterleute, den sie sich mit der ganzen großen Domfestspiel-Gemeinde teilen darf.